Prof. Dr. Philipp Ströbel

Ein Göttinger Forschungsprojekt verstärkt die Onkologische Spitzenmedizin in Niedersachsen.

Text: Gina Maria Kerger | Fotos: UMG

Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 500.000 Menschen an bösartigen Tumoren. In den letzten Jahren hat die Entwicklung neuer hochwirksamer Medikamente die Behandlung vieler Tumoren radikal verändert und für viele Patienten neue Hoffnung im Kampf gegen den Krebs eröffnet. Damit ein solches Medikament zum Einsatz kommen kann, müssen allerdings wichtige Voraussetzungen erfüllt sein: nach einem „Schlüssel-Schloss“ Prinzip können die Medikamente nur wirken, wenn der Tumor dazu passende Veränderungen in seinen Molekülen aufweist. Zwar sind die meisten dieser Veränderungen nur in wenigen Tumoren nachweisbar, gleichzeitig wächst aber die Zahl neuer „Schlüssel-Schloss Kombinationen“ stetig, sodass immer mehr Patienten die Chance auf eine derartige personalisierte Therapie bekommen. Dies bedeutet wiederrum, dass viele solcher Tests durchgeführt werden müssen, um mindestens eine wirksame Kombination zu entdecken. Diese Testungen sind nicht nur aufwendig, sondern auch zeit- und kostenintensiv. In Deutschland werden die meisten Tests auf „Schlüssel-Schloss-Kombinationen“ von speziell ausgebildeten Pathologen durchgeführt.
Bislang werden hierfür zunächst von Gewebeproben histologische Präparate angefertigt, die dann für die Diagnostellung („Krebs“) von Pathologen unter dem Mikroskop begutachtet werden. Am Institut für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) werden so täglich mehrere hundert Gewebeschnitte von verschiedensten Tumorerkrankungen unter dem Mikroskop begutachtet. Für die moderne Diagnostik und Tumortherapie reicht dieser Schritt alleine allerdings in den seltensten Fällen aus: an den Geweben werden zusätzliche Untersuchungen durchgeführt, die Veränderungen von Eiweißsubstanzen (Proteinen) in oder auf der Zelle oder der Tumor-Erbsubstanz (DNA) nachweisen. Lässt sich durch diese Untersuchungen eine „Schlüssel-Schloss-Kombinationen“ finden, kann den Patienten eine entsprechende molekular-zielgerichtete Tumortherapie angeboten werden.
Der Göttinger Wissenschaftler Prof. Dr. Philipp Ströbel, Direktor des Instituts für Pathologie der Universitätsmedizin Göttingen und stellvertretender Direktor des UniversitätsKrebszentrums Göttingen, möchte in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 9,6 Millionen Euro geförderten Forschungsprojekt diesen Prozess beschleunigen und neuartige molekulare Testungen und Künstliche Intelligenz für eine verbesserte und schnellere Tumordiagnostik kombinieren. Zusammen mit seinem Industriepartner Siemens Healthineers möchte er die Frage beantworten, ob es möglich ist, mit Hilfe einer „digitalen Biopsie“ molekulare Veränderungen in Tumoren vorherzusagen, um diese dann in wesentlich kürzerer Zeit gezielt behandeln zu können.
„Die Diagnose Krebs wird in aller Regel in der Pathologie durch die Beurteilung von Gewebeproben gestellt. Hierbei hängt viel von der individuellen Erfahrung des Pathologen ab. Hinzu kommt, dass das menschliche Auge und unser Gehirn sehr gut mit qualitativen Unterschieden umgehen kann, sich aber bei der Quantifizierung von Veränderungen sehr viel schwerer tut (z.B. „um wieviel größer ist diese Zelle als die benachbarte Zelle?“). Genau hier liegt aber eine besondere Stärke von KI. Das Ziel unseres Projektes ist es jetzt, künstliche Intelligenz so zu nutzen, dass sie uns dabei unterstützt, die Gewebeeigenschaften von Tumoren genau zu definieren und zu beschreiben. Da es einen Zusammenhang zwischen dem Aussehen einer Zelle und ihrer Funktion gibt, möchten wir herausfinden, ob wir durch exakte Beschreibung ihres Aussehens molekulare Veränderungen in Tumorzellen vorhersagen können” so Prof. Ströbel.

Künstliche Intelligenz (KI) meint die Entwicklung lernfähiger Computersysteme zur Lösung komplexer Probleme wie dem Erkennen von Bildern und Sprache oder dem autonomen Fahren. Schon jetzt ist Künstliche Intelligenz aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und beginnt auch, die Medizin zu verändern.

Maschinelles Lernen hilft bei der schnelleren und präzisen Diagnostik von Krebs >>> Das großangelegte Forschungsvorhaben unter der wissenschaftlichen Leitung des Göttinger Pathologen könnte dabei helfen, den flächendeckenden Zugang einer alternden Gesellschaft mit Zunahme an Tumorerkrankungen zu der verbesserten Krebsmedizin zu sichern und gleichzeitig zu einer massiven Kosteneinsparung und Schonung wertvoller Personalressourcen führen. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir das BMBF von unserer Idee überzeugen konnten“, freut sich Prof. Ströbel. „Durch die Förderung haben wir jetzt die einzigartige Gelegenheit, gemeinsam mit unserem starken Industriepartner die Möglichkeiten und Grenzen unseres Verfahrens ausgiebig zu erproben. Außerdem ist es uns vor kurzem gelungen, eine der vom Land Niedersachsen bereitgestellten Digitalisierungsprofessuren einzuwerben. In dieser Konstellation können nun wir ein ganzes Bündel völlig neuartiger Methoden entwickeln.“ Der Forschungs- und Entwicklungsverbund will außerdem über das konkrete Vorhaben hinaus die Grundlagen für eine Vielzahl möglicher Anwendungen von Künstlicher Intelligenz in der Diagnose und Behandlung von Erkrankungen legen, etwa durch Vernetzung mit radiologischen Bildgebungsverfahren oder der Labormedizin.

Universitäre Spitzenmedizin für die Region >>> Die Nachricht, dass das Vorhaben vom BMBF gefördert wird, kommt auch sonst zu einem günstigen Zeitpunkt: die Universitätsmedizin Göttingen bewirbt sich derzeit gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mit ihrem Ende 2019 gegründeten Comprehensive Cancer Center Niedersachsen um Förderung als Onkologisches Spitzenzentrum durch die Deutsche Krebshilfe. Bei dem anstehenden Begutachtungsprozess müssen die beiden Zentren nachweisen, dass sie nicht nur die medizinische Versorgung von Krebspatienten nach dem neuesten Stand der Wissenschaft beherrschen, sondern auch selbst durch innovative Forschung unmittelbar zu einer stetigen Verbesserung von Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen beitragen. „Wir hoffen, dass dieses Leuchtturmprojekt dazu beiträgt, die Gutachter der Deutschen Krebshilfe davon zu überzeugen, dass in dem gemeinsam mit der Medizinischen Hochschule gegründeten Comprehensive Cancer Center Niedersachsen innovative Spitzenforschung betrieben, wird, die zuallererst unseren Patienten in der Region zugutekommt.“, so Prof. Ströbel. Beide Hochschulen haben sich im Dezember 2019 erstmals gemeinsam an der aktuellen Ausschreibung der Deutschen Krebshilfe für ein „Onkologisches Spitzenzentrum“ beworben. Derzeit gibt es deutschlandweit 13 solcher Zentren, die von der Deutschen Krebshilfe gefördert werden. Zusammen versorgen die beiden Universitätskliniken Göttingen und Hannover bis zu 30.000 Patienten mit Krebserkrankungen pro Jahr.

Prof. Ströbel erklärt das Prinzip des Cancer-Scout-Verfahrens: „Das digitale histologische Bild wird bezüglich seiner Merkmale über einen „intelligenten“ (lernfähigen) Computeralgorithmus ausgewertet und bestimmten molekularen Gruppen (A, B, C) zugeordnet, auf die das System vorher trainiert wurde. Diese Gruppen wurden so gewählt, dass sie möglichst viele Veränderungen beinhalten, die für zielgerichtete Krebstherapien nach dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ von Bedeutung sind.“

Univ. Prof. Dr. med. Philipp Ströbel
Direktor, Institut für Pathologie,
Universitätsmedizin Göttingen
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Telefon: 05 51 / 39-65681 (Fr. Karin Hannemann)
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