Über Genuss wird viel geredet. In der Werbung, in Phrasen, in Deutschland. Doch jenseits der sprachlichen Banalisierung steht ihm vieles im Wege. In erster Linie der Mensch selbst.

Text: Lutz Stein | Fotos: iStock, Hersteller

Die Ursache der heute weitverbreiteten Genussstörung wird bei näherer Betrachtung des in den vergangenen Jahren arg strapazierten Wortes „Achtsamkeit“ deutlich. Entgegen dem Volksglauben meint Achtsamkeit nicht, dass man vorsichtig sein oder in besonderer Weise auf sich achtgeben soll. Es geht vielmehr darum, den täglichen Robotermodus zu verlassen und ganz bewusst wahrzunehmen, was gerade in uns, mit uns oder um uns herum geschieht. Wir können uns beim Waldspaziergang stumpfsinnig mit unseren Alltagssorgen beschäftigen. Wir können aber auch scharfsinnig die einzelnen Bäume, Sträucher und Tiere des Waldes näher betrachten. Wir können die Luft einatmen und dabei Gerüche von feuchter Erde, Blättern und Moos wahrnehmen. Einen solchen Moment mit unseren Sinnen in Echtzeit bewusst und ohne Bewertung wahrzunehmen – das bedeutet Achtsamkeit. Denselben Moment mit unseren Sinnen in Echtzeit bewusst wahrzunehmen und positiv zu bewerten – das bedeutet Genuss.
Ohne Achtsamkeit bleibt vermeintlicher Genuss daher bloßer Konsum. Doch es gibt gute Nachrichten, denn Genuss ist erlernbar. Eine dazu geeignete Achtsamkeitsübung mit hohem Motivationsfaktor ist z.B. das bewusste Verköstigen von Whisky, einem veganen, traditionsreichen und obendrein hochgeistigen Getränk. Beschäftigen wir uns doch ein wenig näher damit.

Über die Aromen und den Geschmack der einzelnen Whiskys verlieren vor allem Hersteller und Händler viele blumige Worte. Nachvollziehen können das die wenigsten, denn jeder Mensch erlebt und interpretiert Gerüche und Geschmäcker individuell. Aufgrund genetischer Veranlagung hat der eine Mensch eine feinere Nase, der andere eine höhere Sensibilität für das Schmecken von Salzigem. Der eine ist geübt im Analysieren von Sinneseindrücken, der andere bekommt kaum mit, was er isst, weil er dabei immer Zeitung liest. Manche Menschen verbinden mit bestimmten Gerüchen aufgrund von Erlebnissen aus der Vergangenheit Positives, andere haben denselben Geruch in schlechter Erinnerung. Zudem muss man sich von der Vorstellung befreien, dass es so etwas wie einen reinen Apfelgeruch oder Birnengeschmack gäbe. Allen Stoffen, die wir riechen oder schmecken – und das gilt auch für alle Gaben von Mutter Natur – entweichen kontinuierlich Moleküle bestimmter chemischer Verbindungen. Zumeist sind das Teilchen organischer Stoffe, wie Phenole, Ester, Aldehyde und Ketone. Jede dieser chemischen Verbindungen hat daher ihren eigenen, speziellen Geruch, den wir pur in der Regel als unangenehm oder chemisch wahrnehmen würden.

In einer spezifischen Mischung wird aber der allseits bekannte Geruch eines grünen Apfels oder der Geschmack einer reifen Birne daraus.
Faszinierenderweise entstehen in den verschiedenen Whiskys während ihrer Reifung Hunderte der oben genannten chemischen Verbindungen in unterschiedlichsten Konzentrationen. Wie viele wir davon bewusst identifizieren können, ist nicht zuletzt Übungssache. In welche Schublade wir die zumeist unvollständigen und sich überlagernden Geruchsbilder einordnen, ist dann aber recht individuell. Der eine riecht Äpfel, der andere Birnen, der Dritte einen tropischen Fruchtcocktail.
Wegen der großen Vielseitigkeit ihres sensorischen Auftretens sind vor allem Single Malt Whiskys seit Jahren angesagt, und der Achtsamkeitsübende kann dadurch auf eine erfreulich große Auswahl an hochwertigen und auch hochprozentigen Trainingsgeräten zurückgreifen.
Slàinthe mhath!*

* schottisch-gälisch – gesprochen: Slandsche Wah!
 übersetzt: gute Gesundheit!

Das Fass macht’s
Bis zu seiner Abfüllung ins Fass ist ein Whisky nichts anderes als ein klarer Schnaps auf der Basis von ungehopftem Bier oder, anders ausgedrückt, ein hochprozentiger Kornbrand. Man hat herausgefunden, dass ein gut gereifter Whisky tatsächlich etwa 2/3 seiner Aromen dem ihn umhüllenden Eichenholz verdankt. In den üblichen 500 Liter-Fässern liegt die optimale Reifezeit eines schottischen Single Malts bei 25 bis 30 Jahren. Amerikanische Kentucky-Bourbons und Tennessee-Whiskeys sind schon nach acht bis zehn Jahren am Ziel. Die Reifung in neuen und zudem kleineren 200 Liter-Fässern so wie die höheren Lagertemperaturen sind die Ursachen dafür.

Fassstärke hat ein Whisky, wenn er bei der Abfüllung in Flaschen nicht mit Wasser verdünnt wurde. Ins Fass kommt der Gerstenbrand mit etwa 70 Prozent und während der Reifung verliert er je nach Fass und Umgebung pro Jahr 0,5 bis 1 Prozent Alkohol. Dieses Phänomen hat den schönen Namen Angels‘ Share. Vom Alkoholgehalt eines in Cask Strength oder Barrel Strength abgefüllten Whiskys lassen sich daher Rückschlüsse auf das Alter eines Whiskys ziehen.

Whisky-Gläser
Guten Schnaps trinkt der Genießer je nach Alkoholgehalt pur oder mit Wasser verdünnt und wie der professionelle Verkoster auch in kleinen Mengen aus einem Nosing-Glas. Das Glencairne-Glas steht sicherer als sein Pendant mit Stiel, ist aber auch schnell voller unschöner Fingerabdrücke.

Die Sitte Whisky aus Tumblern zu trinken stammt aus Zeiten der amerikanischen Prohibition. Die Jahre des Alkoholverbots von 1920-1933 war die Blütezeit des Schmuggels und der Panscherei. Whisky war bei Zimmertemperatur oft nicht mehr zu genießen und wurde daher in großen Tumblern mit Eis und/oder Cola verschnitten. Geeignet zum Vorglühen, ungeeignet zum Genießen.

In „Nosing-Gläsern“ (hier links) entfalten sich auch Whisky-Aromen am besten. Bevor Sie zum „Tumbler“ greifen, wählen Sie lieber ein Weinglas oder einen Cognacschwenker.

Single oder Blended?
Single Malt – das ist der Whisky, der seit Jahren immer angesagter ist. Ein Single Malt kommt immer aus den Fässern einer einzigen Schnapsfabrik, daher das Single. Und als Getreide darf nur Malz, das ist gemälzte Gerste, verwendet werden. Daher das Malt. Ein Blended Malt ist ein Gemisch aus verschiedenen Single Malts.
Ein Blended Whisky darf zusätzlich auch Grain-Whiskys enthalten, das sind Whiskys, die auf anderem Getreide als Gerste basieren. Ein Blended Whisky kann also sowohl das Beste verschiedener Destillen beinhalten als auch deren gesammelten Ausschuss. Letzteren findet man dann zu entsprechenden Preisen in den untersten Regalen der Supermärkte. Ruhe er dort in Frieden.

Beverbach
Der dezenteste Whisky, den ich je probiert habe, kommt aus unserer Region und nennt sich Beverbach. Mit seiner milden Kräuternote liegt der Neue aus dem Hause Hardenberg-Wilthen näher am Korn als am typischen Malt-Whisky. Für Freunde von Klaren, wie Wodka oder Aquavit, ist der junge Weizenwhisky vielleicht genau das Richtige.

The Epicurean
Auch Gin ist in. Als Brücke von hier zum Whisky würde ich zum Epicurean greifen, einem Blended Malt aus verschiedenen Lowland-Destillerien. Zitrusfrüchte und Kräuter treffen hier auf dezentes, herbes Karamellaroma.

Aberfeldy
Eine erstaunlich klare Apfelsaftnote, die in eine an Honig und Butterkekse erinnernde Süße eingebunden ist, charakterisiert den 12-jährigen Aberfeldy. Für Weißwein- und Likörliebhaber ist der Highlander gewiss ein schöner Einstieg in die Whiskywelt.

Dalwhinnie
Obstbrandliebhaber können bedenkenlos zum 15-jährigen Dalwhinnie greifen, denn der verbindet die Aromatik eines vielschichtigen, milden Highland-Whiskys mit einem Hauch von Pflaumen eines guten Slivovic.

Dalmore
Dunkler und wärmer kommt der 12-jährige Dalmore daher. Bei ihm rieche ich Sherry, Rosinen, ein wenig Holz und alte Bücher. Im Geschmack erinnert mich der Single Malt an Zartbitterschokolade mit einem Hauch Orange. Wer einen leichten Cognac mag, sollte den Highlander mal ausprobieren.

Glen Els
Liebhaber kräftiger Cognacs, aber auch alten Rums sollten unbedingt mal ein Auge auf einen Hochland-Whisky aus unserer Region werfen. Die Glen Els Distillery Edition aus der Hammerschmiede bietet milde Holz-, kräftige Wintergewürztöne und süße Sherry-Aromen ohne Ende. Der in kleinen Fässern gereifte junge Single Malt aus dem Harz ist einer meiner absoluten Lieblingswhiskys.

George Dickel
Ein anderer Zugang vom Rum zum Whisky wäre natürlich Bourbon. Der basiert zu mindestens 51 Prozent auf Mais, dessen Süße der von Zuckerrohr näher kommt als die jedes anderen Getreides. Bourbon mag nicht jeder, denn die Lagerung in neuen Eichenfässern ist Pflicht, und deren Harz verleiht amerikanischem Whiskey seinen typischen Klebstoffgeruch. Davon abgesehen, sind gute Bourbons wahre Geschmacksbomben mit verschwenderischen Aromen von Vanille, Karamell und Eichenholz. Je älter der Bourbon, desto mehr tritt der Klebstoffgeruch in den Hintergrund. Meine Empfehlung gilt hier dem 9-jährigen George Dickel Hand Selected Barrel. Tennessee at its best.

Säntis
Der krasseste Whisky, der mir bislang unter die Nase kam, kommt aus der Schweiz. Die Dreifaltigkeit von Säntis lagerte in Bierfässern, und ihr Gerstenmalz wurde zuvor offensichtlich mit reichlich alpinem Torf getrocknet. Der duftet und schmeckt wie eine Mischung aus Zirbenschnaps, Underberg und gezuckertem Räucherspeck. Das leere Glas riecht nach einer halben Stunde wie ein niedergebrannter Scheiterhaufen. Der ideale Umstiegswhisky für Liebhaber scharfer Kräuterschnäpse und für alle Whiskyfreunde ist genau das Richtige zu einem rauchenden Lagerfeuer unterm Sternenhimmel.