In unserem Thema für Genießer entführt uns Helge Koch in diesem Monat in die Welt der regionalen Kräuter, die Geschmack, Gesundheit und sehr viel Genusspotenzial miteinander verbinden.

Text: Helge Koch | Fotos: iStock, privat

Die „hessischen Sieben“
Boretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. Diese sieben früh wachsenden Gartenkräuter bilden mit gekochtem Ei, Schmand, saurer Sahne, Essig und Öl die Kasseläner „Griene Sose“, die stets perfekt zu Kartoffeln, Fisch oder Spargel passt. Das wunderbare Spiel der zarten, ätherischen Aromen der grob gehackten Kräuter entfaltet sich aber auch in einer Vinaigrette als „Sauce Francfort“. Wer es wagt, etwas abseits der ausgetretenen kulinarischen Pfade zu wandeln, möge die gleiche Gewürzkräuterkombination doch mal zu einer Salsa Verde mit fruchtigem Olivenöl, fein gehackten Kapern nebst Cornichons verarbeiten und mit Zitronensaft und grobem Meersalz abrunden.

Der Dramfelder Gemüsebauernhof Kardgar/Schmalenbach bietet auf dem Göttinger Wochenmarkt zudem eine selbst kreierte grüne Soßenmischung an, zu der aufs Köstlichste essbare Blüten einen würzigen Beitrag leisten. Allen Rezepten gemein ist, dass die empfindlichen jungen Blätter nicht gegart werden. Kochen, Braten und hohe Temperaturen verwandeln die Kräutergeschmäcker in dumpfes, unappetitliches Nichts. Im rohen Zustand, lediglich gehackt und gesalzen, gezuckert oder durch ein wenig Salz, Öl oder Essig lässt sich den frischen Pflanzen ihr komplexes Aromenspiel am besten entlocken.

Die Frühlingsfrische einfangen
Die empfindlichen Aromen der frühen Garten- und Wildkräuter sind nach dem kalten und nassen Winter besonders wertvoll und belebend. Leider lassen sie sich besonders schwer konservieren und erhalten. Recht gut funktioniert das Einfangen der ätherischen Öle aus den jungen Pflanzen allerdings, indem man sie, je nach Verwendungszweck, in Salz oder Zucker trocknet. Der entstehende osmotische Druck entzieht Stängel und Blättern die Flüssigkeit und damit den Geschmack, der sich so gut lagern und weiterverwenden lässt. Ein so erzeugter Minzzucker ist die Bereicherung für jeden Eistee später im Jahr, und das salzig konservierte Aroma von Kerbel macht sich gut in Rice Bowls. Der schnell welkende Estragon mit seinem diffizilen Aroma von Anis und Waldmeister bleibt in mildem Weinessig lange gut verwendbar, während die meisten empfindlichen Kräuter einfach in gute Speiseöle gegeben und so einige Wochen erhalten werden können. Ein besonderes Talent, solcherlei Geschmack auf Flaschen zu ziehen, hat ein Urgestein der Göttinger Cocktailszene, Ellen Tietje, die mit ihrer Sirup Company großartige Zutaten liefert. Ihr Kräutersirup, der als Geheimzutat Katzenminze enthält, gemahnt ein wenig an Fassbrause und macht aus Mineralwasser eine leckere Frühlings-Limonade. Das funktioniert natürlich auch im Stil eines Hugo mit Prosecco und einem Zweig Minze im gekühlten Glas.

Der Frühling im Glas
Der traditionelle Tanz in den nächsten Mai verdankt seine Beschwingtheit nicht zuletzt einer guten Maibowle. Das einfache, recht schnell zubereitete Getränk aus Waldmeister, Riesling und spritzigem Sekt ist purer Frühling im Glase. Ein bis zwei Bünde leicht angewelkter Waldmeister werden kopfüber in einen Liter Weißwein gehängt. Wenige Stunden reichen, um mit den feinen Blattrosetten des Waldmeisters den typischen Geschmack zu erzeugen, der so viel exquisiter ist als das künstliche Aroma einschlägiger grüner Zuckersirupe. Der Wein darf ein gutes Säurerückgrat besitzen, dem man aber auch mit etwas Zitronenschale nachhelfen kann. Aufgefüllt wird mit sehr gut gekühltem Sekt. Eine Variation auf das klassische Rezept wäre, einen Sauvignon Blanc als Weinbasis zu verwenden und dessen Stachelbeernoten mit Pimpinelle zu unterstützen. Die spritzige Kohlensäure kommt dann am besten mit einem trockenen Prosecco Frizzante in die Bowle. Vorsicht, dass beim Einweichen im Wein die Stielenden des Krautes nicht mit in die Flüssigkeit hängen, da sonst recht viel von dem enthaltenen Cumaringlykosid in die Bowle gelangt, was bei manchen Personen Kopfweh auslösen könnte.

Wenn die Stadt nach Frühling Schmeckt
Erreicht die Frühjahrssonne den Waldboden, sprießt der Bärlauch. Manche Person irritiert der intensive Knoblauchduft zwar, anderen steht der Sinn jedoch nach Bärlauchpesto aus dem Göttinger Stadtwald. Und damit noch nicht genug. Auf Äckern und Unkrautbrachen findet sich jetzt auch frischer Postelein bzw. frisches Tellerkraut, das Salate köstlich bereichert. Zusammen mit jungem Gundermann, Sauerampfer und Breitwegerich wird aus einem solchen Snack dann bereits eine grüne Frühjahrskur.

Frühlings-Cocktailkreation von Helge Koch
„Storkis Pimm’s“, ein frischer Cocktail, den ich für den Geburtstag einer Freundin entwarf, schmeckt am besten, wenn als Kitzel für den Geruchssinn ein frischer Zweig Estragon und ein Streifen Zitronenschale zur Dekoration benutzt wird.
2 cl Pimm’s No.1
1 Passionsfrucht, das Mark durch ein Sieb gestrichen
1 Spritzer Gurkenbitter von The Bitter Truth
6 cl Prosecco

Der verantwortungsvolle Umgang mit wild wachsenden Kräutern
Die erwachende Natur verlockt mit zarten Düften, frischem Grün und den ersten bunten Blüten. Das soll auch in den nächsten Jahren so sein, und alle Leser und Naturfreunde möchten dabei gesund bleiben. Ein vorsichtiger und vernünftiger Umgang mit gepflückten Wildkräutern ist enorm wichtig. Den meisten sollte die Verwechselungsgefahr zwischen leckerem Bärlauch und den giftigen Maiglöckchen bekannt sein. Also nur mitnehmen, was sicher bestimmt werden kann. Wer seine Lieblingspflanzen kennt, nimmt nicht versehentlich giftige, geschützte oder gefährdete Exemplare mit und lässt so viel zurück, dass Bestände nicht gefährdet werden. Umsichtig sollte man ebenso in Verwendung und Dosierung sein. Das Scharbockskraut z. B. ist zwar reich an Vitamin C, enthält aber ebenso ein schwachgiftiges Alkaloid. Besonders empfehlenswert ist es, an geführten Wanderungen teilzunehmen, auf denen erfahrene Experten Fragen beantworten und Tipps geben können. Das Stadtforstamt Göttingen ist ein kompetenter Anbieter solcher Spaziergänge wie auch einige der Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker sowie Phytotherapeutinnen und Phytotherapeuten in unserer Stadt.