In den letzten Wochen verbrachten berufstätige Frauen ungewohnt viel Zeit zuhause und im Kreise ihrer Familie. Vermutlich wird dabei jedoch kaum eine den Lebensstil einer klassischen 50er-Jahre-Hausfrau für sich wiederentdeckt haben. Genau darin sehen „Tradwives“ allerdings ihre wahre Bestimmung.

Text: Oliver Scharf | Fotos: iStock

Ein kleines Reihenhäuschen in einer idyllischen Vorstadt. Die Vögel zwitschern und die Kinder spielen im Garten eines blitzblank polierten Eigenheims, in dem eine adrette Frau ihr Makeup auffrischt, die Locken zurechtrückt und ihren Ehegatten mit einem Martini erwartet.

Zurück an den Herd >>> Was auf den ersten Blick wie eine Szene aus der Serie Desperate Housewives anmutet, stellt für manche Frauen das vollkommene Glück dar. Sie besinnen sich bewusst auf Spitzendeckchen, gutes Porzellan, gepunktete Schürzen und Apfelkuchen. Sie streben nach häuslicher Geborgenheit und Gemütlichkeit und verklären ihre Vorstellungen vom Leben ihrer eigenen Großmütter. So merkwürdig es 2020 erscheinen mag, aber diese Rückbesinnung auf eine vergangene Zeit und das damit einhergehende Lebensgefühl erlebt zurzeit eine rege Renaissance. Auch wenn es die Durchschnittsfrau der Gegenwart überraschen mag: Immer mehr ihrer Geschlechtsgenossinnen zwischen 30 und 40 erwägen, ihre Berufstätigkeit aufzugeben und Vollzeit-Hausfrau und Mutter zu werden.
Dieser Trend hört auf den schwungvollen Namen Tradwife, verkürzt aus dem Englischen für „traditional wife“, und erfreut sich in sozialen Medien sichtlich zunehmender Beliebtheit. Kochen, waschen, putzen, sich um die Kinder kümmern, den eigenen Mann voll und ganz zufriedenstellen und das Ganze danach auf Instagram posten. In der Philosophie des #Tradlife trifft eine „Heim und Herd“-Mentalität auf die Selfie-Generation. Frauen, die ihr folgen, streben ein vermeintlich einfacheres Leben an, indem sie zu Hause bleiben und sich ausschließlich ihrem Ehepartner, ihren Kindern und der Hausarbeit widmen. So auch Alena Kate Pettitt, eine digitale Pionierin dieser Bewegung.

Karriere macht unglücklich >>> Nach einer Karriere in der Londoner Beauty-Industrie fühlte sie sich unglücklich und gestresst, und wenn sie nach Hause kam, verbrachten sie und ihr Mann die wenige, gemeinsame Zeit mit Streitereien über die Haushaltsfinanzen. Als Kind der 90-er wuchs Pettitt damit auf, dass Frauen alles sein konnten und es quasi von ihnen erwartet wurde, eine steile Karriere zu absolvieren. Sie hatte das Gefühl, als Frau ohne beruflichen Erfolg nichts wert zu sein, fühlte sich, nachdem sie ihn erreicht hatte, aber zutiefst unzufrieden. Schließlich schlug ihr Mann ihr vor, einfach zu kündigen. Und so stieg sie 2009 aus dem Berufsleben aus. Seitdem besteht ihr Tagesablauf darin, sich um Heim und Kinder zu kümmern und ihren Mann zu verwöhnen, sobald er zur Haustür hereinkommt.
Pettitt sieht in der bewussten Unterordnung unter ihren Mann den Schlüssel zu einer glücklichen und gesunden Beziehung. Als „Tradwife“ gehe es darum, „sich ihrem Ehemann zu unterwerfen und ihn zu verwöhnen, als wäre es 1959“, sagte sie gegenüber der BBC. Und damit ist sie nicht alleine. Immer mehr Frauen sehen in ihr ein Vorbild und verfolgen ihre Social-Media-Auftritte, um von Pettitts Lebensweisheiten zu lernen. Damit ist sie so erfolgreich, dass sie neben ihren Instagram- und YouTube-Kanälen mittlerweile einen Online-Kurs anbietet. Durch „The Darling Academy“ sollen Frauen lernen, „einen weiblichen, anmutigen und eleganten Lebensstil anzunehmen“. Von Rezepten, einer Einführung in die Kunst des richtigen Umgangs mit dem Bügeleisen bis hin zu Benimm-Richtlinien für die moderne Lady ist alles dabei. Inzwischen publizierte sie auch bereits einige Ratgeber in Buchform.

 

Wahre Feministinnen? >>> Der Tradwife-Lebensstil, der an Szenen erinnert, die Ira Levin schon 1979 in seinem Roman „Die Frauen von Stepford“ beschrieb, wird nicht nur von Feministinnen kritisiert; denn die Idee, dass Frauen ihr Glück finden, indem sie sich freiwillig wieder dem Patriarchat unterwerfen, widerspricht  Jahrzehnten des feministischen Befreiungskampfes und des Strebens nach Gleichberechtigung.
Die Tradwives selbst sehen das ganz anders. Sie beanspruchen, ein neues Verständnis von Feminismus entwickelt zu haben, indem sie als Frauen ihr Recht auf Selbstbestimmung wirklich vollends ausleben. Sie seien die wahren Feministinnen, die sich bewusst dazu entschieden hätten, ihre Rolle als Frau als die einer untergeordneten Hausfrau zu definieren. Arbeitende Frauen sind für manche Tradwives-Vertreterin der Bewegung sogar regelrecht „schlechte Menschen“, weil sie ihre Familie im Stich lassen.
Wie immer man ihre Einstellung nennen mag, feministisch ist sie nicht, denn die wohl grundlegendste Forderung des Feminismus war es stets, die Vorstellung abzuschütteln, dass der Mann der Frau in irgendeiner Weise überlegen sei und sie sich ihm deshalb unterordnen müsse. Hier geht es um Themen wie Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde und nicht darum, dass jemand darin Erfüllung findet, die Verantwortung für das eigene Leben abzugeben und sich in eine untergeordnete Abhängigkeit gegenüber dem eigenen Mann zu begeben.
Besonders merkwürdig erscheint der Anspruch der Tradwives, sich als Frau nicht mehr über beruflichen Erfolg definieren zu wollen, angesichts des Geldes, das Tradwife-Bloggerinnen, wie Alena Kate Pettitt, mit ihren Videos,  Workshops und Büchern verdienen, obwohl sie darin einen einfachen und entschleunigten Lifestyle predigen. Spannend wäre es zu erfahren, ob sie ihre Verdienste auch brav an ihre Männer abgeben, damit diese damit nach eigenem Gutdünken verfahren können! 

Weiße Kinder großziehen >>> Besonders problematisch sind darüber hinaus die zum Teil großen Schnittmengen der Tradwife-Philosophie mit dem Gedankengut der „Alt-Right“-Bewegung, der neuen Rechten, wie sie besonders in den USA offenbar werden, wenn auf einmal junge, weiße Amerikanerinnen und Amerikaner das Bild der europäischen Vorkriegs-Hausfrau glorifizieren. Dann geht es auf einmal um sinkende Geburtenraten der weißen Bevölkerung, die Degenerierung der Sitten und die Korrumpierung wahrer Werte durch den globalisierten Neoliberalismus. Wenn dann die amerikanische Tradwife-Bloggerin Ayla Stewart dazu aufruft, möglichst viele weiße Babys zu zeugen – sie selbst habe immerhin sechs Kinder – ist das nicht nur ganz nah an Verschwörungstheorien über das Aussterben der „Weißen Rasse“, sondern erinnert auch an den nationalsozialistischen Mutterkult, der Frauen zu Gebärmaschinen degradierte. Ganz im Stil ihrer männlichen Pendants sieht sich Ayla Stewart, die zuletzt viele ihrer Beiträge in den sozialen Netzwerken löschte, um ihre Website neu aufzubauen,  übrigens auch als Opfer der Fake-News-Medien und als am meisten zensierte christliche Mutter der USA.

Flucht ins Heim >>> Versucht man eine Deutung des Tradwife-Trends liegt es nahe, dass die scheinbar selbstbestimmten Hyper-Feministen und die Alt-Right-Supermütter beide vermutlich ihren Ursprung in der auch an vielen anderen Orten spürbaren, tiefgreifende Unsicherheit und Überforderung angesichts der Entwicklung der modernen Gesellschaft haben. Wie vielen anderen Menschen scheint es auch den Tradwives schwerzufallen, in einer von Individualismus, Freiheiten und Möglichkeiten geprägten Zeit ihren Platz zu finden. Wenn Pettitt schreibt, dass es für sie eine Bürde war, mit den Erwartungen ihrer Generation umzugehen, damit, dass Frauen jetzt alles sein konnten, sogar Manager, erscheint es nachvollziehbar, wenn sie sich in alte Sehnsuchtsorte voller verantwortungsfreier, vermeintlicher Sicherheit flüchtet, um die verloren gegangene Kontrolle zurückzuerlangen.
Am Ende bedeutet dies natürlich nicht, dass jede Frau, die gern einen Kuchen backt oder dekorative Bilder ihrer Inneneinrichtung im Internet teilt, mit ihrem Leben unzufrieden wäre oder zur Verräterin am Feminismus wird. Wichtig ist einfach, dass sie es für sich selbst und aus Freude an der Sache tut und darauf verzichtet, es zur wahren Lebensaufgabe jeder Frau zu erklären. Und wenn das irgendwann zu einem finanziellen Projekt wird, warum nicht? Hauptsache, das verdiente Geld landet auf ihrem eigenen Konto und sie – und nicht ihr Mann – entscheidet selbst über die Farbe ihres Teppichs.