Regionale Obstbrände vereinen die einzigartigen Aromen Südniedersachsens mit dem Geschmack der Saison. Helge Koch, unser Experte fürs gekonnte Genießen, sah sich einmal in regionalen Brennereien um.

Text: Helge Koch | Fotos: privat, Helge Koch, iStock

Helge Koch
1971 geboren in Wolfenbüttel und aufgewachsen auf dem Lande. In der Familie sind selbst angebautes Obst und Gemüse genauso wichtig wie die jährliche Hausschlachtung. In der Küche, dem liebsten Raum des Hauses, findet von Kindheit an das eigentliche Leben statt. Studien in Rostock und Göttingen waren ständig begleitet von guten Freunden und Jobs aus und in verschiedenen Gastronomien. Einige Umwege über DRK-Rettungsdienst und DB-Gastro führten letztlich in das DT-Bistro am Theaterplatz. Dort arbeitet er seit 2008 glücklich an der Bar und im Service.

Und wer hat’s erfunden?
Die Historie des Alkohols ist, wen wundert’s, nicht exakt zu erzählen. Einigermaßen sicher ist aber, dass vor ungefähr 5.000 Jahren in Ägypten bereits verschiedenste Sorten Obst und Getreide zu Wein und Bier verbraut wurden. Um 400 v. Chr. beschrieb Aristoteles das physikalische Prinzip der Destillation durch Verdampfung. So kam eins zum anderen, wenn auch nicht immer zur gesamtgesellschaftlichen Freude, und so ließ z. B. der römische Kaiser Diokletian im 3. Jahrhundert die Aufzeichnungen über Alkoholdestillation wieder vernichten. Die trotz solcher Bemühungen weiterhin verwendeten Methoden, aus vergorenem Obst hochprozentigeren Schnaps zu destillieren, ähneln übrigens sehr denjenigen, die bei der Erzeugung duftender Öle, Geiste und aromatischer Essenzen Anwendung finden. Zum Glück, möchte man sagen, denn so steht im Edelbrandglas nicht nur Teufel Alkohol vor uns, sondern echtes Kulturgut voller Genuss und Sinnenfreude.

Terroire an Leine, Werra und Weser
Die Fallobstwiesen und Marktstände in und um Göttingen zeigen es: Klima und Böden unserer Region bringen besonderes, köstliches Obst hervor. Ganz zu Recht kann man den Weinbegriff vom Terroire verwenden. Die Kirschen von Witzenhausen gehören ebenso dazu wie der Ingrid-­Marie-Apfel, Speierling und die Elsbeere. Funfact: Die größte Elsbeere der Welt, die „Schöne Else“, steht 35 Meter hoch auf dem Hengstberg von Groß Lengden. Warme Sommertage und kühle Nächte in den windgeschützten Tälern von Eichsfeld und Weserbergland lassen Früchte sehr aromatisch, aber relativ zuckerarm gedeihen. Auf unterschiedlichen Böden, in Mikroklimata und Lagen der Region treten verschiedene Geschmacksanteile der Früchte hervor.

Das besondere bisschen Extra
Brennt jemand so wie Wolfgang Bloier vom Inselhof in Dietzenrode aus Passion, fließt immer auch ein wenig zusätzliche Arbeit mit ein, sei es bei der Pflege der Obstbäume im idyllischen Walsetal nahe Bad Sooden-Allendorf oder beim Verlesen und Vorbereiten der Früchte. Besonders die alten Obstsorten, die in Bloiers Bränden und Geisten durchschmecken, sind aufwendig in der Verarbeitung und erreichen nur eine geringe Ausbeute an Destillaten. Wie ernst es der Bio-Landwirt und -Brenner mit der Qualität seiner Erzeugnisse meint, zeigt sich wenn Wildbirnen vermaischt und sortenreiner Holstein Cox Apfelbrand gebrannt wird, um den Geschmack sorgsam geputzter Wurzelgemüse auf Flaschen zu ziehen. So intensiv und komplexdiese Brände sind, so vielfältig lassen sie sich verwenden. Möhren- und Rote-Bete-Brände eignen sich erstaunlich gut für die Verfeinerung von Soßen und Vinaigrettes. Ein Steinpilzgeist aus der Dietzenröder Mühlenbrennerei verfeinert in meiner Küche Pilzgerichte und an der Bar Cocktails mit holzig-rauchigen Aromen.

Was lange gärt, …
Das Geheimnis eines gelungenen Obstbrandes liegt zu großen Teilen in der Sorgfalt und Zeit, die man auf die Gärung verwendet. Ein Fruchtgeschmack, der nicht schon in der Maische frei wird, kann nicht in den Obstbrand gelangen. Ebenso werden Fehler bei der Verarbeitung des Obstes im Endprodukt zu erschmecken sein. Schalen, Stiele und Blätter haben im Maischbottich gemeinhin nichts zu suchen. Sie lassen eine methanolische Schärfe im Brand entstehen, wie sie lediglich zum Grappa bzw. Tresterbrand gehört. Lässt man nun die Hefezellen ihre Arbeit tun, entsteht aus dem Fruchtzucker Alkohol, und aromatische Verbindungen sammeln sich in der Maische. Der erfahrene Brennmeister weiß, wie er seine Hefen zu pflegen hat, damit der pH-Wert und die Temperatur zu einer gleichmäßigen Gärung beitragen. In industriellem Maßstab und bei niedrigen Qualitäten wird häufig künstlich Zucker zugesetzt, um schneller und kostengünstiger zu hochprozentigen Ergebnissen zu kommen. Destillate von besonderer Qualität entstehen ohne diesen Trick und bekommen auch nach dem Brennvorgang eher keinen Kristallzucker zugesetzt.

Brennereien der Region
Einige besondere Menschen haben das Talent und machen sich die Mühe, die Aromen unterschiedlicher Früchte zu konzentrieren und als Destillate in Flaschen zu füllen. Abseits der großen, industriellen Brennereien existiert eine bemerkenswerte Kultur von Obstbau und klassischem Handwerk. Deren Vertreter sind unter anderem Sebastian Budde von der Weserbergland-Brennerei und Wolfgang Bloier von der Mühlenbrennerei Dietzenrode (Foto). Die Weserbergland-Brennerei hat sich jüngst umstrukturiert und ein neues Zuhause in Scharfoldendorf bei Einbeck gefunden. Leider werden dort keine Brennkurse mehr angeboten. Ein breites Angebot von sehr gelungenen Bränden, Geisten und Likören einheimischer Obstsorten aus diesem Hause findet man aber z.B. in der Weinhandlung Bremer in Göttingens Innenstadt.

Mit vielen Sinnen
Ein Besuch in der Brennerei ist immer auch ein besonderes Erlebnis für die Nase. Deshalb lohnt es sich, einmal an einem Schaubrennen und an Verkostungen teilzunehmen. Im Lagerkeller duftet der Angels‘ Share aus den Holzfässern, in denen die Obstbrände und auch der allererste Single Malt aus den Brennblasen des Inselhofes reifen. In der Brennstuberiecht es nach süßem Obst, Fermentation und, solange der Vorlauf noch aus der Brennblase tröpfelt, ein wenig scharf. Obstbrenner sind für gewöhnlich sehr rigoros im Abtrennen von Vor- und Nachlauf, die die reinen Fruchtaromen verderben. Gebrannt wird im Pot Still-Verfahren, bei dem auf den Brennvorgang das gründliche Reinigen der Brennvorrichtung folgt. Was nach der Verdünnung auf Trinkstärke und Lagerung in der Flasche landet, trägt den einzigartigen Geschmack der Region und der Saison in sich. In Göttingen findet man die Spirituosen aus Dietzenrode im LOKALneun am Wochenmarkt oder über den entsprechenden Onlineshop.

Think globally, mix provincially
Der Apfelbrand mit Ingwer aus der Mühlenbrennerei hat es mir besonders angetan. Ich finde ihn perfekt für einen „Jack Rose“:
2 cl Zitronensaft
1 cl Rohzuckersirup
2 Spritzer Angosturabitter
5 cl Apfelbrand mit Inwer
1 cl Grenadine
Alle Zutaten werden im Shaker auf Eis gut geshaked und durch ein Sieb in eine gekühlte Cocktailschale oder einen Tumbler geseiht. Deko: ein Streifen Zironenschale.