Dr. Bettina Herzig und Dr. Charles Timäus demonstrieren die Anwendung des rTMS-Geräts.

Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG bietet mit der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) eine neue Methode zur Behandlung von schweren Depressionen an.

Text: Kristin Schild | Fotos: Kristin Schild, privat

Wir erleben gerade eine Zeit, in der psychische Beschwerden deutlich zunehmen. Es ist noch nicht eindeutig geklärt, ob diese durch die aktuelle Corona-Pandemie ausgelöst oder ob schon vorhandene Veranlagungen von psychischen Erkrankungen dadurch sichtbarer werden – ein Anstieg ist jedoch deutlich erkennbar. Auch an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG werden zunehmend Patienten mit Depressionen aufgenommen.
Seit Anfang des Jahres können diese in der Klinik mit der sogenannten repetitiven transkraniellen Magnetstimulation, kurz rTMS, behandelt werden. Zwar kommt diese Behandlung schon seit Längerem in Rahmen einer Studie zum Einsatz, doch Dr. Bettina Herzig und Dr. Charles Timäus betreuen und begrüßen nun auch den klinischen Einsatz.
Tatsächlich gibt es zahlreiche Anwendungsfelder der rTMS, sowohl in der Forschung als auch in der klinischen Anwendung. Mehr als zwei Drittel der Behandlungen finden zur Therapie von Depressionen statt.
„Auch wir wenden die rTMS schwerpunktmäßig bei Patienten mit Depressionen an“, erklärt Dr. Herzig den Anwendungsbereich an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

Anwendung >>> Generell können bei der Behandlung von Depressionen verschiedene Therapiemethoden zum Einsatz kommen. Der Gesamtbehandlungsplan kann hierbei sowohl medikamentöse, psychoedukative als auch psycho- und soziotherapeutische Interventionen und andere unterstützende Maßnahmen umfassen. Ergänzend dazu können neurostimulative Behandlungsoptionen zum Einsatz kommen; dazu zählen zum Beispiel die Vagusnervstimulation (VNS), die Elektrokrampftherapie (EKT) und eben auch die rTMS.
Die rTMS kann als therapeutischer Heilversuch eingesetzt werden, wenn die Standardtherapie nicht ausreichend wirksam ist, nicht vertragen wurde oder seitens des Patienten abgelehnt wird. Um ein zufriedenstellendes Therapieansprechen zu erreichen, ist der Einsatz nicht pharmakologischer Interventionen, wie die rTMS, entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen, eine vielversprechende Behandlungsoption.

Doch was genau passiert eigentlich bei so einer Behandlung? >>> Bei der rTMS-Behandlung können Teile des Gehirns durch ein starkes, pulsierendes Magnetfeld stimuliert werden. Mithilfe des physikalischen Prinzips der Induktion kann in umschriebenen Bereichen der Großhirnrinde die elektrische Aktivität auf diese Weise beeinflusst werden. Dabei kann sich die Durchblutung bestimmter Hirnareale verbessern, und die Zellen werden frequenzabhängig in ihrer Aktivität stimuliert oder gedämpft.
Der Zielpunkt für die rTMS-Therapie richtet sich nach der zu behandelnden Erkrankung und wurde in wissenschaftlichen Studien ermittelt. Zur Behandlung depressiver Störungen mittels rTMS erfolgt die Stimulation im Bereich des dorsolateralen präfrontalen Kortex, einer Region der Hirnrinde im vorderen Schläfenbereich. In einer isolierten Spule in der Form einer Acht wird ein Magnetfeld erzeugt, das in seiner Art und Stärke vergleichbar mit den aus der radiologischen Diagnostik bekannten MRT-Geräten ist. Die exakte Positionierung der Spule erfolgt mithilfe von anatomischen Landmarken. Sind diese gefunden, kann der magnetische Impuls die Schädeldecke ungehindert passieren. Dies führt zu einer zielgerichteten Entladung von Nervenzellen. Es werden Botenstoffe freigesetzt, die auch vernetzte Hirnzentren erreichen. Die Impulse selbst sind für die Patienten in Form eines Kribbelns an der Kopfhaut spürbar. Andere Nebenwirkungen sind sehr selten. Die Stimulationsintensität richtet sich nach der individuellen Erregungsschwelle der Zellen und wird vor jeder Behandlung ermittelt.

Während der Anwendung sitzt der Patient in einer bequemen Position. Die Magnetspule wird direkt über dem Zielgebiet positioniert. Eine Therapiesitzung dauert ungefähr 10 Minuten, wobei über 1000 Reize appliziert werden. Manchmal entstehen dabei leichte Muskelzuckungen im Gesichtsbereich oder ein vorübergehender leichter Kopfschmerz. Um eine Nachhaltigkeit hinsichtlich der gewünschten Wirkung zu erreichen, wird dieser Therapieschritt an 10 Folgetagen wiederholt.
Wie bei einem Medikament gibt es aber auch Umstände, bei denen die Behandlung nicht durchgeführt werden darf; hierzu zählt das Vorhandensein von ferromagnetischem Material im Kopfbereich (z.B. Cochlea-Implantate). Befindet sich ein entsprechendes Implantat in engem Kontakt mit der Spule, besteht die Gefahr einer Verschiebung oder Erhitzung sowie einer Funktionsstörung. Derzeit sind allerdings viele Implantate nicht ferromagnetisch. Eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung sollte zum Beispiel auch bei dem Vorhandensein einer Epilepsie, bei einem Herzschrittmacher, einer Hirnverletzung, einer Schwangerschaft oder bei Kindern und jungen Erwachsenen unter 18 Jahren erfolgen.
„Die rTMS ist bei sorgfältiger Durchführung und Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen ein unproblematisches und sicheres Verfahren“, fasst Dr. Charles Timäus zusammen, „denn
insgesamt wird die Behandlung von den Patienten sehr gut vertragen und ruft keine langfristigen Beschwerden hervor.“

Erfolge >>> Die gut verträgliche und nicht invasive Therapiemethode ist vor allem im psychiatrischen Bereich sehr wertvoll und bringt erhebliche Vorteile gegenüber anderen Behandlungsverfahren, die bei Depressionen eingesetzt werden.
„Die Effektstärken sind auf jeden Fall da“, fügt Dr. Charles Timäus hinzu, „sie sind leicht bis moderat, allerdings nicht so stark wie bei der Elektrokrampftherapie, die vor allem bei wahnhaften Depressionen erfolgversprechender ist.“
„Wir haben den Eindruck, dass die Patienten bei uns durch die rTMS stark profitieren“, erläutert Dr. Bettina Herzig, „aber auch umfassende Studien belegen die Effizienz und Sicherheit des Verfahrens.“
Die rTMS wurde bereits 2008 für die Behandlung von therapieresistenten Depressionen von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA zugelassen. Auch in den deutschen wissenschaftlichen Leitlinien zur Behandlung von Depressionen wird die Behandlungsmethode als mögliches Therapieverfahren bei Depressionen empfohlen.

Perspektiven >>> „Ich wünsche mir, dass die rTMS-Methode noch weiter in der Regelversorgung etabliert wird und wir damit vielen an Depressionen erkrankten Menschen helfen können. Darüber hinaus wäre es schön, wenn wir diese Methode bald auch auf weitere Krankheitsbilder ausweiten und anbieten können“, erhofft sich Dr. Bettina Herzig für die Zukunft.
„Die rTMS ist zwar kein Wunderheilmittel, aber aus der Zukunft nicht mehr wegzudenken“, resümiert Dr. Charles Timäus. „Die Magnetstimulation ist eine wertvolle Ergänzung der Behandlungsoptionen in der Psychiatrie, und es wird interessant sein zu sehen, wie sich das Verfahren und die Anwendungsbereiche in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln werden.“

Herkunft >>> Seit 1994 wird die rTMS-Technik für therapeutische Zwecke eingesetzt. Es zeigten sich sowohl bei der Behandlung von neurologischen Erkrankungen als auch in der Psychiatrie vielversprechende Ergebnisse. Die größten Erfahrungen mit dieser Therapiemethode liegen bei der Behandlung depressiver Patienten vor.

Die Magnetspule wird direkt am Kopfbereich aufgelegt wo sie ein starkes Magnetfeld erzeugt.

Dr. Bettina Herzig

Dr. Charles-Arnold Timäus

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